Sklavenhaus Crispus

Sklavenhaus Crispus

Montag, 16. Juni 2014

Gaius Schwester




Tiberia, deren widerspenstig krauses Haar in einem kunstvollen Zopf gebändigt wurde, nachtfarben wie ihre Augen, stand im kleinen gepflegten Garten im Innenhof des Sklavenhauses Crispus, bog den Kopf in den Nacken, um die wenigen vorüberziehenden Wolken zu betrachten und darüber nachzusinnen, wie viele Gefährtinnen ihr Vater schon gehabt hatte. Seine unzähligen Kinder kannte sie meist nicht einmal. Lediglich ihren Halbbruder Gaius hatte sie zwei oder drei Mal in ihrem Leben zuvor gesehen bevor man ihr eröffnet hatte, dass sie im fernen Victoria zur Sklavenhändlerin ausgebildet werden sollte. Ihr Vater hatte nach dem Tod ihrer Mutter beschlossen, sie  in die Hände seines Sohnes Gaius Crispus zu geben. Er selbst pflegte als Sklavenhändler vor allem die gut betuchten Städte zu bereisen und ganz sicher, so glaubte Tiberia, wäre er längst auf der Suche nach einer neuen Gefährtin.




Ihre Ankunft in Victoria war nun schon drei oder vier Hand her, genau vermochte sie es nicht mehr zu sagen, da sich die Ereignisse in ihrer neuen Heimat entweder zu überschlagen drohten oder sie schlichtweg die Zeit totschlagen musste. Hielt das Schicksal einen dieser zähen Tage für sie bereit, konnten sich die Ahn wie ein Teigklumpen unendlich in die Länge ziehen. Letzteres war ihrem Bruder zu verdanken, der vor kurzem auf die glorreiche Idee gekommen war, dass seine Schwester wie eine seiner lebenden Handelswaren gewinnbringend unter die hochkastigen Junggesellen gebracht werden sollte. Das wiederrum bedeutete, dass ihr Ruf tadellos zu sein hatte. So kam es auch, dass er neben dem jungen Rarius Benendicus Aelius noch zwei weitere Wachmänner einstellte: Aurelius und Vicar. Ihnen hatte er deutliche Anweisungen gegeben. Tiberia hatte  das Haus nicht ohne Begleitung zu verlassen und eine weitere Ansage, die ihr allein galt, vergällte ihr das Leben: Sie hatte züchtige Kleider zu tragen und die bitte schön in den Kastenfarben der Sklavenhändler. Die Farben der anderen Kasten wahlweise nur zu besonderen Ereignissen wie Einladungen in andere Häuser oder beim Empfang der ausgewählten, angesehenen und nicht zuletzt gut betuchten Gäste.
Sie musste feststellen, dass  Ihr  Bruder vieles im Sinn hatte, aber mittlerweile hatte sie den Eindruck gewonnen, dass ihre Ausbildung eher stiefmütterlich behandelt wurde. Gaius eigentliches Ziel stand unumstritten fest. Er wollte hoch hinaus und sich zu einem angesehenen, reichen Mann machen. Lucia, seine liebenswürdige, aber nicht minder ehrgeizige Gattin stand ihm da in nichts nach. Das Hause Crispus war groß und  abgesehen von den vielen Sklavinnen, alle gut durchnummeriert, und den ansehnlichen Gladiatoren, lebten einige Familienmitglieder  im Sklavenhaus. Da war zum Beispiel Fauna, die alleinstehende Mutter von Lucia. Sie  war zwar eine gute Zuhörerin und Ratgeberin, nicht zuletzt aufgrund ihrer Lebenserfahrung, die Tiberia mit ihren neunzehn Märkten nun wirklich nicht zu bieten hatte. Aber irgendwie wurde sie auch nicht so recht schlau aus der Mutter ihrer Schwägerin. Als warmherzig war Fauna nun nicht gerade zu bezeichnen. Da war da noch Illarion, der feingeistige, künstlerisch begabte Sohn von Fauna und Bruder von Lucia, der gerade auf ein desaströses Leben in Verruf zusteuerte, sofern er an seinen eigenwilligen Plänen festhielt, so glaubten es zumindest die einen oder anderen Familienmitglieder der Crispus.

Eine Stimme unterbrach ihre Flucht in ihre Gedanken und ließ sie sich umsehen. 319 näherte sich von der Eingangstüre und bat sie im Auftrag des Herrn Gaius ins Haus zu kommen. Sie seufzte leise, steckte sich eine der zauberhaften Blüten, die sie einem Strauch geraubt hatte, ins Haar und verließ das kleine Paradies inmitten der Mauern des Sklavenhauses, um zu hören, was ihr Bruder mit ihr zu besprechen hatte.



by Tiberia Crispa Tertia

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen