Sklavenhaus Crispus

Sklavenhaus Crispus

Samstag, 14. Juni 2014

Gelasia



Gelasia war nach diesem Tag am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Die Ereignisse hatten sich vollkommen überschlagen. Nachdenklich lag sie auf ihrem Lager und ließ die vergangenen Erlebnisse Revue passieren.



DIE SILBERMÜNZE

Vor ungefähr zwei Tagen erhandelte sie im Hafen frischen Fisch. Sie legte gerade den letzten der glitschigen Wesen in ihren mitgebrachten Korb, als plötzlich ein Fremder vor ihr stand. Seiner Kleidung und seinen Waffen nach war er ein Wachmann, dem sie jedoch noch nie begegnet war.

Zuerst glaubte sie, sie würde verhaftet. Doch er schlug ihr einen Handel vor. Für eine Silbermünze sollte sie sich zu ihm legen. Ihr Schreck hätte kaum größer sein können. Sie war zwar eine Leibeigene, doch nicht völlig auf den Kopf gefallen, und zu oft hatte sie von all den Mädchen gehört, die der Lust verfallen und anschließend verdummt waren. Es gab wohl kaum etwas, das sie mehr fürchtete, als die schreckliche Aussicht darauf, ein kopfloses Vulo zu werden!

Sie redete sich so gut es ging heraus, während sein Drängen und Drohen zunahmen. Da er sie nicht einmal fragte, ob sie eine Leibeigene wäre, vermutete sie schließlich, dass er geschickt worden war, um ihre Loyalität zu ihrem Herrn auf den Prüfstand zu stellen. Als sie schließlich schon erleichtert aufatmen wollte, dass er endlich von ihr abließ, schnippte er eine Silbermünze in ihren Fischkorb und verschwand in den Gassen, ehe sie ihm noch die Münze zurück geben konnte.

Sie war entsetzt. Wer käme aus einer Laune heraus auf den Gedanken, einer Leibeigenen eine Silbermünze zu überlassen? Das würde ihr sicher noch große Schwierigkeiten einbringen, und sie sollte mit dieser Befürchtung Recht behalten.



DIE VERSTOSSUNG

Sie war kaum in der Küche angekommen, als plötzlich ihr Herr in die Küche stürmte. Noch nie war er in diesem Raum aufgetaucht! Er herrschte sie an, dass sie ihn betrogen habe. Er wühlte in ihrem Fischkorb, bekam die Silbermünze zu fassen und hielt sie ihr anklagend und mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck vor die Nase. Eine Diebin schimpfte er sie. Unheilvoll verkündete er sein Urteil. Er würde sie an das Sklavenhaus Crispus versetzen, damit sie ihm durch den Verkauf den Schaden ersetze, den sie ihm mit dem Diebstahl zugefügt habe.

Ihre Knie wurden butterweich und sie war nahe einer Ohnmacht. Doch bevor sie auf den Boden aufschlagen konnte, packte er sie an ihren zusammen gebundenen Haaren, entriss ihr die Nadeln, denn diese seien sein Besitz, und schleifte sie dann an ihrer langen Mähne vor allen Leuten durch die Gassen. Noch nie hatte sie sich so gedemütigt gefühlt. Doch es sollte schlimmer kommen.

Es dauerte nicht lange, als ein Wachmann des Sklavenhauses auftauchte, der sie abführen sollte. Und dieser Wachmann war ausgerechnet derjenige, der ihr die Silbermünze in den Korb geworfen hatte! Jetzt war es für sie sonnenklar, es musste ein Komplott gewesen sein. Es hatte sich bereits seit einiger Zeit abgezeichnet, dass ihr Herr unzufrieden mit ihr war. Sie war eine Last für ihn, denn für mehr als den Herd taugte sie seiner Ansicht nach nicht. Für die Felle war sie ihm mit ihrer Hakennase einfach zu hässlich. Da half es auch nicht, dass er nur allzu sehr dem Paga zugewandt war. Er konnte sie sich nicht einmal schön saufen. Die Silbermünze war also ein nur allzu willkommener Vorwand gewesen, um sie endgültig los zu werden und aus seinem Haus zu verstoßen. Gelasias Schicksal war besiegelt, ihre Zukunft ungewiss.



DIE ANKUNFT IM SKLAVENHAUS

Statt Gelasia umgehend dem Sklavenhaus zuzuführen, versuchte der Wachmann erneut, sich an ihr zu vergreifen. Mit der Aussicht, ihm etwas zu kochen, gelang es ihr wohl doch noch im letzten Moment, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Er hetzte sie Richtung Taverne durch die Gassen, wo sie nach wenigen Schritten auf Lady Lucia trafen. Wie sie aus der Unterhaltung ihres ehemaligen Herrn und des Wachmannes noch zuvor heraus gehört hatte, war Lady Lucia die Herrin des Sklavenhauses. Grund genug für sie, einen guten ersten Eindruck bei der Lady zu schinden, weshalb sie sie auch sofort als Herrin ansprach.

Bisher war sie reichen Herrschaften noch nie persönlich begegnet, außer vielleicht einmal von weitem bei einer ihrer Besorgungen für die Küche. Eine umfassende Sklavenausbildung hatte sie nie erhalten, weshalb sie immer davon ausging, dass alle Männer mit Sir, alle Frauen mit Lady angesprochen werden. Mit Ausnahme eines Besitzers, also dem Herr oder der Herrin. Sie sollte noch früh genug erfahren, dass in den reichen Kreisen dahingehend offensichtlich eine andere Auffassung vertreten wurde.

Als ihre neue Herrin Lucia mit ihr ein wenig abseits stand, fragte diese sie über ihre Herkunft und ihre Fähigkeiten aus. Den Bemerkungen nach zu urteilen fürchtete sie, Herrin Lucia habe etwas über ihr Geheimnis erfahren. Doch sie wurde nicht direkt darauf angesprochen. Vielleicht bildete Gelasia sich in ihrer Panik auch nur ein, dass sie etwas wissen könne. Sie lenkte ab und konnte Herrin Lucia davon überzeugen, als Topfsklavin die ein oder andere Fähigkeit gewinnbringend für das Haus Crispus einbringen zu können. Sie war glücklicherweise in einige Küchengeheimnisse für stimulierende oder hemmende Lebensmittel eingeweiht, was Herrin Lucia offenkundig hellhörig werden ließ.

Im Sklavenhaus wurde sie von Herrin Lucia durch die Räume geführt, damit sie wusste, wohin sie sich zu bewegen hatte, wenn sie gerufen wurde, und wo sie sich aufhalten durfte. Sie war beeindruckt von den teuren Möbeln, den Stoffen, der Seide, den Tapeten und Wandmalereien. Nie hatte sie so etwas aus der Nähe gesehen. Noch erstaunter war sie, als sie in das Kellergewölbe geführt wurde, das viel größer war, als sie es erwartet hatte. Selbst ein Bad war dort unten zu finden!

Unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit vertraute ihr Herrin Lucia ihre neuen Aufgaben an. Sie war positiv überrascht, dass sich die Lady als eine gewitzte Geschäftsfrau entpuppte, die es allem Anschein nach sehr gut verstand, ihren Vorteil aus ihrem Status zu ziehen. Mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln.

Ein wenig erinnerte sie Herrin Lucia an ihre Mutter. Auch diese hatte es verstanden, aus ihrer Lage das Beste zu machen. Sie hatte sich als Gesellschafterin nach oben gearbeitet und wurde schließlich sogar im Lesen und Schreiben ausgebildet. Sie bestach nicht nur durch ihre Schönheit und ihren Fähigkeiten in den Fellen, sondern ebenso durch ihre Belesenheit. Sie war eine Muse in jeglicher Hinsicht. Ihr Wissen gab sie heimlich an Gelasia weiter. Es war ein vorteilhaftes, aber gleichzeitig gefährliches Wissen für eine Frau, und erst recht für eine Arbeitssklavin. Eines Tages war ihre Mutter spurlos verschwunden. Angeblich war sie verkauft worden. Doch Gelasia glaubt, dass ihr ihr Wissen zum Verhängnis wurde. Ein Grund mehr für sie, dem Rat ihrer Mutter zu folgen und dieses Geheimnis unter allen Umständen für sich zu bewahren.

Schließlich verabschiedete sich Herrin Lucia von ihr, und wies sie noch an, sich ordentlich zu waschen und zu kleiden, um bereits am nächsten Tag das Haus Crispus bestmöglich zu repräsentieren. Es war ihr Wunsch, dass die Sklavinnen einen ordentlichen Eindruck machten, denn die reichen Herrschaften gingen im Haus ein und aus, und eine schmutzige Sklavin wäre schlecht fürs Geschäft.



EIN SPIELBALL IM KAMPF UM DIE MACHT

Kaum war Herrin Lucia die Treppen nach oben entschwunden, lernte Gelasia auch schon die nächste Dame des Hauses persönlich kennen. Tiberia, die Schwester des Hausherren Gaius, der Gefährte Lady Lucias. Sie wies Gelasia an, Wasser nach oben zu bringen. In den oberen Räumen hielt sich die Mutter Lucias, Lady Fauna auf, sowie der Wachmann, dessen Namen sie in der Zwischenzeit erfahren hatte: Vicar. Diesen Namen würde sie sicherlich niemals vergessen. Es war ein Name, den sie mit Abscheu, Ekel und einem großen Schrecken verband.

Sie war es gewohnt, wie ein Schatten, beinah unsichtbar dafür zu sorgen, dass ihr Herr etwas zu trinken oder zu essen bekam. Von einem „Serv“ hatte sie nicht den blassesten Schimmer. Lady Lucia hatte ihr in den unteren Gewölben im Zusammenhang mit Kalana noch zu erklären versucht, was es damit auf sich hatte, aber die Zeit war zu kurz gewesen. Es kam wie es kommen musste, sie tappte prompt ins Fettnäpfchen und handelte sich die ersten Schwierigkeiten ein.

Vicar verlangte von ihr, das Wasser mit einem „Serv“ zu offerieren. Irritiert fragte sie Lady Fauna, ob dafür nicht ein Kalana vonnöten sei, was Vicar seinem darauf folgenden Wutausbruch nach zu urteilen für eine Frechheit ihrerseits zu halten schien. Sie versuchte noch, den anwesenden Herrschaften ihre Unwissenheit zu erklären. Doch das hielt Vicar nicht davon ab, ihr die nächste Demütigung anzukündigen. Er befahl ihr, sich ihrer Kleider zu entledigen und völlig entblößt zur Taverne hin und zurück zu laufen! Vielleicht war er verärgert darüber, dass er sich bisher nicht an ihr vergreifen konnte, und wollte sie unter allen Umständen damit strafen, von einer emsigen Topfsklavin zu einer einfältigen Fellsklavin zu verkommen.

Sie war völlig vor den Kopf gestoßen, aber vor allem irritiert. Schnell kristallisierte sich heraus, dass es hier wohl um mehr ging, als einfach nur eine Sklavin zu demütigen. Wer hatte hier das Sagen? Wer durfte Befehle erteilen? Standen nicht die freien Frauen, die die Anweisungen des Hausherren vertraten, über dem Wachmann in der Hierarchie? Gelasias bisheriges Weltbild, das zugegebenermaßen nicht mehr Welt umfasste, als die des Herdes, des Hafens, der Bäckerei oder Metzgerei, schien binnen weniger Augenblicke wie ein Kartenhaus in sich zusammen zu brechen.

Ein Schlagabtausch entbrannte zwischen den Frauen und dem Wachmann, die ihre Machtstellung im Hause Crispus offensichtlich nicht in Zweifel gezogen wissen wollten. Vicar betonte, dass Gelasia doch nur eine Sklavin sei, die nicht mehr wert sei als eine Silbermünze, wenn überhaupt. Die Frauen hielten dagegen, dass Gelasias Status noch nicht geklärt sei, ob sie geöffnet oder ungeöffnet war. Was sie dabei empfand, interessierte nicht. Sie war degradiert, kaum mehr wert als ein Tier. Sie war eine Sache, ein Spielball in einem Machtkampf, und nichts weiter als eine weitere Nummer im Hause Crispus: 326.

Sie entkam ihrer misslichen Lage nur durch eine glückliche Fügung, als sich am Tor des Hauses plötzlich später Besuch für Vicar ankündigte. Ihre Erleichterung war grenzenlos, und so war sie sogar dankbar, als Lady Fauna auch noch etwas von ihrem Kalana verschüttete, den Gelasia vom Boden aufwischen musste. Wenigstens eine Aufgabe an diesem Tag, die sie beherrschte und bei welcher sie sich nicht vor möglichen Folgen fürchten musste, doch noch geistig verarmen zu müssen.

Sie konnte nur hoffen, dass die nächsten Tage besser wurden. Statt bloßem Ausführen einfacher Befehle würde sie sich jetzt wohl diplomatische Fähigkeiten aneignen müssen, um nicht zwischen den um Machstellungen kämpfenden Herrschaften zerrieben zu werden. Erschöpft schlief sie schließlich auf ihrem Lager ein.

by Gelasia

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